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Interview: "Kurzsprache ist ein Plus"

Lesezeit: Minuten
Gerade junge Mediennutzer greifen in den sozialen Netzwerken gerne auf Abkürzungen und Visualisierungen zurück. Statt komplett ausformulierter Sätze bevölkern Emoticons, LOLs und Hashtags die Posts und Nachrichten. Aber welche Auswirkungen hat dies eigentlich auf die Sprachentwicklung von Kindern und Jugendlichen?
Teachtoday sprach mit dem Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Mannhaupt über die Rolle der Sprache in den sozialen Netzwerken. Er erklärt, warum bei richtiger Dosierung die Sprache von den sozialen Medien profitieren kann.
Prof. Dr. Gerd Mannhaupt im Gespräch mit Teachtoday
Ist das Internet der Erwachsenen für Kinder, die noch nicht lesen und schreiben können, eigentlich interessant?

Ich denke tatsächlich, dass es lange Zeit keine so große Rolle spielt. Im Alter von fünf bis zehn Jahren sind die neuen Medien vor allem interessante Spielobjekte. Erst mit dem Ende des Kindesalters, also dem Beginn der Jugend wird das Internet auch sprachlich intensiver genutzt.

Trotzdem benutzen auch Viertklässler Dienste wie WhatsApp. Als Elternteil sieht man dort eine Art der Sprache, oft sogar nur Sprachfetzen, die man teilweise gar nicht versteht. Woran liegt das?

Bei den Kleinen ist das auf die mangelnde "Werkzeugkompetenz" zurückzuführen. WhatsApp nutzt ja nicht nur Schriftsprache, sondern Sprache im Allgemeinen. Dazu gehören auch Emoticons und Sprachnachrichten. Wenn man den Bereich des Kommunizierens betrachtet, der über die Schriftsprache hinausgeht, dann ist das für Kinder ein neues Werkzeug. Daran müssen sich Kinder erst einmal gewöhnen. Die Smileys, die sie benutzen, sind zudem viel näher an der Spielwelt. Sie bieten eine Symbolik an, an der Kinder viel näher dran sind. Deshalb werden sie auch häufiger genutzt.

Viele Eltern haben nun Angst davor, dass gerade junge Kinder durch die frühe Mediennutzung in ihrer Sprachentwicklung gestört werden könnten. Trägt WhatsApp vielleicht direkt dazu bei?

Das hängt von der Dosierung ab und davon, wer die Medien wie nutzt. Bei einer gesunden Sprachentwicklung beherrscht der Sprecher unterschiedliche Register. Register bedeutet, ich kann meine Sprache an mein Gegenüber und an unterschiedliche Situation anpassen. Ein simples Beispiel ist die Schule. Der Schüler lernt im Schulalltag, dass man in ganzen Sätzen antwortet. Er lernt auch, dass in diesem Kontext eine Kurzsprache nicht zugelassen ist. In WhatsApp wiederum lernt er, sich mit minimalem Aufwand verständlich auszutauschen. Kinder und Jugendliche versuchen also, so viel wie möglich an Bedeutung in ein Format zu packen. Aus der Sicht eines Sprachwissenschaftlers erwerben sie sich so ein neues Register. Wenn es ausgewogen ist, also die Kurzsprache nicht das einzige Register ist, in das Kinder hineinwachsen, dann ist diese Ausdrucksform eher eine Sprachanreicherung als eine Verarmung.

Kinder entdecken also etwas Neues in der Sprache und entwickeln Sprache damit weiter?

Tatsächlich. Diese Kurzsprache, die ja fast alle – auch die Erwachsenen – bei WhatsApp nutzen, ist in der gesellschaftlichen Entwicklung tatsächlich neu. Also ein Plus!

Sprachentwicklung und Mediensozialisation gehen also einher. Nun hat Teachtoday mit dem Scroller gerade ein neues Kindermagazin herausgegeben. Ein Produkt, das ganz klassisch auf Papier eine Brücke zu den digitalen Medien bilden soll. Halten Sie das für einen guten Weg? Oder muss heute alles digital sein?

Nein. Ich halte es für einen sinnvollen Weg. Es spiegelt die Welt und die Tradition wider, aus der die meisten Kinder kommen. Viele Kinder gehen ja bereits mit der geschriebenen Schrift in Buchform, wie etwa Bilder- und Lesebücher und Magazinen um. Gerade im Grundschulalter ist der Umgang mit textuellen Informationsformaten keiner, der schon fest im digitalen Bereich etabliert ist. Es für Kinder und Eltern also sinnvoll, sich auf die sogenannte "alte" Form, die Papierwelt, einzulassen und dann in die neue Welt hinüberzuwechseln.

Dr. Gerd Mannhaupt ist Professor für Grundlegung Deutsch an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Zu seinen Forschungsgebieten zählen die Bereiche Schriftspracherwerb, Lernstandsmonitoring sowie Analyse und Didaktik des frühen Lesens und Schreibens.

Das Interview führte Thomas Schmidt am Safer Internet Day 2016.

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